Wednesday, December 1, 2010

Monströse Vorstellung - Monstrous Notion

Monströse Vorstellung

Eines Morgens erwacht Maag mit der Vorstellung, alle Menschen seien Päpste. Hilflos, ohne das Licht anzudrehen, versucht er, die Konsequenzen abzuschätzen. Aus jedem Fenster, an jeder Ecke, ja selbst im Zentralpark würde ziel- und masslos der Segen erteilt! Endloses Gemurmel würde sich wie eine Grundwelle in die ohnehin schon zu laute Welt mischen. Und was wäre mit den Frauen? Dürften sie endlich den Segen spenden? Würden Kirchen noch benötigt oder hätte jeder seine eigene, der Bischof den Dom, Willi seine Gerätehalle? Rita das Stadtcafé? Allein schon diese Vorstellung: Willi – ein Papst! Oder Ana Bela, Lelli, Hermeling. Wie verhielte es sich mit den zehn Geboten? Würden sie augenblicklich revidiert? Würden alle, wenn sie in einem neuen Land ankämen, den Boden küssen? Liesse sich jeder und jede in einem Gehäuse aus Panzerglas herumchauffieren, den Zölibat verteidigend, Fruchtbarkeit predigend, das Verkehrsproblem endgültig unlösbar machend? Alle wären unfehlbar – auch Minetti?
Maag, der sich der Tatsache bewusst ist, nur schlecht mit Kritik, vor allem gerechtfertigter, umgehen zu können, stürzt mit glühendem Kopf zum Fenster, reisst beide Flügel gleichzeitig auf, wedelt mit den Armen und murmelt lateinische Worte, von denen er nicht einmal geahnt hat, dass sie in ihm schlummerten.


Monstrous Notion

One morning Maag awakens with the notion that everyone is a pope. Helplessly, without turning on the light, he attempts to assess the consequences. From every window, on every corner, even in City Park, the papal blessing would be bestowed, randomly and excessively! A steady drone of endless muttering would mix with the sounds of the already too-loud world. And what about women? Would they finally be allowed to give the Benediction? Would churches still be necessary or would each have his or her own, the bishop the cathedral, Willi his tool shed? Rita the City Cafe? Even the mere thought: Willi—a pope! Or Ana Bela, Lelli, Hermeling. And then there’s the Ten Commandments? Would they be subject to immediate revision? Would everyone kiss the ground upon arriving in a new country? Would each and every person be chauffeured around in a shell of bulletproof glass, defending celibacy, preaching fertility, making the traffic problems insoluble once and for all? Everyone would be infallible—including Minetti?
Maag, who is conscious of the fact that he doesn’t deal well with criticism, especially when justified, makes a mad dash to the window. Flinging open both casements at once he waves his arms, muttering Latin words he never suspected were slumbering within him.

Tuesday, October 26, 2010

Sommernacht - Summer Night


Sommernacht

Was hat es mit dem Zustand namens Schlaf auf sich? Müsste man mehr darüber wissen? Die Menschheit verbringt einen Drittel ihres Lebens mit Schlafen, nach Maags Meinung für die meisten ihre produktivste Zeit. Wie aber könnte er einer eventuellen Freundin, Sofia, Vanessa, Claire oder – warum nicht? – Ana Bela, plausibel machen, dass er im Bett nicht nur wie Millionen seiner Landsleute subtil oder brachial schnarchend Fett ab- und Energie aufbaut, sondern gleichzeitig kreativ philosophischen Fragen nachgeht, somit also selbst in schlafendem Zustand arbeitet, wenn auch nicht im streng bürgerlichen Sinn?
„Arbeiten?”, haucht ihm die ihre Kontur stets vielversprechend wechselnde Zukünftige zärtlich zu, „woran hast du heute in den frühen Morgenstunden gearbeitet? Wäre es nicht produktivitätssteigernd”, säuselt sie, „wenn du am Abend ein, zwei Gläser weniger Wein trinken würdest, mein Lieber?“ Wo bleibt sein Name, den sie eben unwiderstehlich in sein Ohr geflüstert hat? „Und kreativ wäre es“, fährt seine Liebste fort –
Doch statt einer Fortsetzung schiesst aus ihrem Mund eine Feuerzunge. Schweissgebadet wacht er auf. Die Digitalanzeige des Weckradios zeigt die frühe Stunde 06.06 Uhr an. Es ist ein lichter Morgen, und die Vögel geben ein grandioses Konzert. Erleichtert stellt Maag fest, dass ihm die Definition von Kreativität erspart bleibt.
Zwei Stunden später sitzt er ausgeschlafen vor einem reichlichen Frühstück. In Anbetracht des geglückten Übergangs vom Schlaf- in den Wachzustand entschliesst er sich, die Gunst der Stunde zu nutzen. Als ob er es seit langem geplant hätte, steht für ihn fest, dass er sich heute der Betrachtung widmen wird, wie und weshalb es zur immer wieder beobachtbaren, aussergewöhnlichen Disproportionalität zwischen Körpergrösse und Ehrgeiz beziehungsweise Beachtungsanspruch kommt. Wirklich, der Schlaf ist eine äusserst produktive Phase und führt konsequent zu neuen Erkenntnissen! Doch wird er sich hüten, gegenüber seiner Zukünftigen, wer immer sie sein mag, seine Nachtarbeit auch nur anzudeuten.


Summer Night

This state we call sleep—what’s it all about? Ought we to know more? The human race spends a third of its life sleeping—for the majority of people, their most productive time, Maag thinks. But how could he plausibly explain to a potential girlfriend, Sofia, Vanessa, Claire, or—why not?—Ana Bela, that he is not only reducing fat and building energy through subtle or violent snoring, like millions of his fellow countrymen, but is simultaneously, and creatively, pursuing philosophical questions and thus working even while sleeping, albeit not in the strict bourgeois sense?
“Working?,” his girlfriend-to-be—her shape and outline in a state of constant, though auspicious, flux—breathes affectionately, “what were you working on today, in the wee hours of the morning? Wouldn’t your productivity increase,” she murmurs, “were you to drink one or two fewer glasses of wine in the evening, my dear?” His name—she’d just whispered it irresistibly in his ear—where has it gone? “And what would be creative would be,” his beloved continues –
But there is no continuation. Instead a fiery tongue shoots from her mouth. He awakens, bathed in sweat. The digital display of his clock-radio reads the early hour of 6:06 a.m. It’s a bright morning; the birds are giving a grand concert. Relieved, Maag realizes he has been spared the definition of creativity.
Two hours later he sits, well-rested, before an ample breakfast. Having so successfully transitioned from a sleeping to a waking state, he decides to seize the moment. As if he’d been planning it for some time, he’s confident he’ll spend the day contemplating how and why there is always an observable, remarkable disproportionality between body height on the one hand and ambition, or attention-demanding behavior, on the other. Sleep really is an extremely productive phase; it consistently leads to new findings! There’s no chance, however, of his even hinting to his girlfriend-to-be, whoever she might be, about his night shifts.

Saturday, September 25, 2010

Fluss - River


Fluss

So paradox es klingt: Eintagsfliegen können, die Jugendstadien mit zahlreichen Häutungen mitgezählt, eine Lebenszeit von weit über einem Jahr haben. Minetti hält die geschlossene Hand ans Ohr und hört dem Summen einer gefangenen Fliege zu. Wie ist doch die Welt rätselhaft eingerichtet! Von sämtlichen Säugern werden die Menschen zwar am ältesten, wollen immer noch älter werden und sind dennoch weit von Bartwürmern und Riesenschildkröten entfernt, die zweihundert Lebensjahre erreichen. Zieht man die Labilität und Manipulierbarkeit menschlicher Intelligenz in Betracht, wären allerdings Demut und Bescheidenheit gefragt, nicht Lebensverlängerung. Minetti beobachtet den Fluss, in dem er seine Füsse kühlt. Bei anhaltenden Regenfällen wechselt er die Farbe, schwillt an, leckt sich Stege, Böschungen und Mauern hoch, wird schneller, mit kaum zu bändigender Gewalt überflutet er gebieterisch das Vorland, Treibholz türmt sich zu Hindernissen, die er ohne Kraft zu verlieren umfliesst, bis er sich wieder in sein übliches Bett, bei langen Trockenzeiten auch in ein schmaleres zurückzieht. Immer schon, stumm, unermüdlich, zyklisch. Als er die Hand öffnet, verliert sich das Summen der Fliege im Geräusch des Wassers, und in diesem Augenblick ist er sich gewiss, dass ihm der Fluss auf diesselbe Weise zugehört hat wie er der Fliege.


River

As paradoxical as it sounds: dayflies can have—adolescent stages and numerous molts included—a lifespan of well over a year. Minetti holds his closed hand to his ear and listens to the buzzing of the captured fly. The world is mysterious, isn’t it! Although of all mammals humans grow the oldest, and are forever wanting to grow even older, they are still a far cry from beard worms and giant tortoises, which reach an age of two hundred years. If the instability and manipulability of human intelligence are taken into account, humility and modesty would be more apropos, however, than longevity. Minetti observes the river in which he is cooling his feet. With continual rains it changes color, swells, laps high up bridges, banks, and walls, becomes faster, imperiously floods the foreshore with nearly uncontrollable force, and flows around obstacles of towered driftwood without losing strength until it retreats to its normal bed, or to a narrower one when dry seasons are long. Timeless, silent, tireless, cyclical. As he opens his hand the buzzing of the fly becomes lost in the sound of the water and at this moment he is certain the river listened to him just as he listened to the fly.

Wednesday, August 25, 2010

Aura

Aura

Der Umstand, für den Serienmörder „Harry der Schlächter“ gehalten zu werden, versetzt Maag in einen gespaltenen Zustand.
Auf der positiven Seite schlägt zu Buch, dass ihm der scheussliche Ruf als „Harry der Schlächter“ nicht zu unterschätzende Vorteile gebracht hat. Hauswart Ritz, auf dessen Schikanierliste er bisher ganz oben stand, behandelt ihn auf einmal ausnehmend höflich. Er trägt ihm, dem jüngeren, wenn er nach Hause kommt, sogar die Taschen zum Aufzug. Im Stadtcafé lässt ihn Lelli endlich mit seinen blutigen Geschichten aus dem Krieg, den er lediglich aus den Büchern von Erich Maria Remarque kennt, in Ruhe. Auch auf dem Zentralpark lastet der Ruf des Monsters, dem allein dort schon zwei Spaziergängerinnen und ein eben angestellter junger Gärtnergehilfe zum Opfer gefallen sind: Willi - mit Trauerflor am Überkleid - gibt ihm auffallend häufig recht, was ihren Gesprächen jedoch jede Würze nimmt.
Schliesslich hat sein Verhältnis zu Rita eine erotische Erweiterung erfahren. Jedes Mal, wenn sie an seinem Tisch vorbeikommt, berührt sie ihn unauffällig. Geht hier endlich ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung? Ähnliches stellt er bei Ana Bela an der Kaufhauskasse fest. Und Emina ist ihm dieser Tage sogar über den halben Zentralplatz nachgeeilt, nur um ihm, nachdem sie sich ausser Atem kurz an seiner Brust ausgeruht hatte, errötend einen Gruss von Hermeling auszurichten. Ausgerechnet von Hermeling, diesem geistigen Kontorsionisten!
Alles Vorfälle, die ihm schmeicheln und ihn gleichzeitig misstrauisch machen. Weshalb braucht es dazu die Aura eines Serienmörders? Weshalb reicht sein Ruf als „Maag der Makellose“, an dem er unablässig arbeitet, nicht aus, gebührend beachtet zu werden?
Am Tag, als „Harry der Schlächter“ endlich gefasst wird, ohne dass ein weiteres Opfer zu beklagen gewesen wäre, atmet die gesamte Region auf. Zu Maags Erleichterung – oder Enttäuschung? – stellt sich heraus, dass sie sich nur in der Mundpartie geringfügig gleichen. Seither findet er sich immer wieder vor dem Spiegel und befragt sich stumm, ob es ihm jemals wieder gelingen wird, mit allen Mängeln und Qualitäten nur Maag zu sein, ohne die mit der vermeintlichen Ähnlichkeit verbundenen Vorteile einzubüssen.

Aura

Maag is of two minds about being taken for the serial killer Harry the Butcher.
On the positive side such horrible notoriety brings him advantages that are not to be underestimated. Ritz, the superintendent, whose list of annoying people Maag had thus far topped, treats him all of a sudden with extreme politeness, even carrying his bags to the elevator when he arrives home (though Maag is the younger of the two). In City Café, Lelli, with his bloody stories from the war—which he only knows from Erich Maria Remarque’s books anyway—finally leaves Maag in peace. And in City Park, where no less than two people out for a stroll and a newly hired young gardener’s assistant have fallen victim, the reputation of the monster also weighs heavily: Willi—wearing a black ribbon on his overalls—is conceding points to Maag with remarkable frequency, something that, however, takes all the spice from their conversations.
Finally, Maag’s relationship to Rita has undergone an expansion into the erotic. Each time she passes his table she touches him discreetly. Is this the ultimate fulfillment of a long-cherished wish? He notices a similar thing with Ana Bela at the department store checkout. And, recently, Emina hurried after him, crossing no less than half of Central Square, only to relay—out of breath and after resting briefly on his shoulder—Hermeling’s regards, a blush rising to her cheeks. Regards from Hermeling of all people, that mental contortionist!
These are all incidents that flatter him yet, simultaneously, make him suspicious. Why is the aura of a serial killer needed? Why isn’t his reputation as Maag the Untarnished, on which he has worked unceasingly, sufficient to receive the consideration he feels is his due?
On the day Harry the Butcher is finally apprehended, without another victim having to be mourned, the entire region is able to breathe easier. To Maag’s relief—or disappointment?—it turns out that the only resemblance, and it’s a slight one, is around the mouth. Since then he has repeatedly found himself in front of the mirror silently questioning whether he will ever succeed in just being Maag again, with all his shortcomings and qualities, without losing the benefits derived from his alleged likeness to the killer.


Monday, June 28, 2010

Neue Regierung - New Government


Neue Regierung

Für Maag steht fest, dass von nun an er und Minetti die Regierung stellen werden. Jederzeit, ohne Verzug und vor allem ohne Parlament sind sie – und nur sie – in der Lage, Gesetze zu erlassen, die sofort in Kraft treten, und Ernennungen vorzunehmen. Selbstredend ist er der Regierungschef. Minetti hat als sein engster Mitarbeiter dafür zu sorgen, dass alles zur Zufriedenheit des Regierungschefs geschieht. In diesem Sinn gibt es keine Ressortaufteilung, etwa dass er als Präsident für die Finanzen, die Justiz, die Beziehungen nach aussen, die innere und äussere nationale Sicherheit – quasi die harte Währung – zuständig ist, während Minetti sich um die Erziehung, das Soziale, die Volksgesundheit, Sport und Kultur oder die Sedierung von Minoritäten etcetera kümmert. Da er, Maag, der Chef ist, lastet die Verantwortung für sämtliche Entscheidungen auf ihm, und es hilft wenig, dass Minetti glaubt, sein uneingeschränkter Zugang zur Macht, heisst: zu ihm, ändere daran etwas.
Mit derselben Hellsichtigkeit beschliesst er, der Welt vorerst den bisherigen Lauf zu lassen. Im Bewusstsein seiner Macht, gestärkt durch die Weisheit, die er in der kurzen Zeit als Regierungschef bereits gewonnen hat und gewillt, den Kontakt zum Volk nie zu verlieren, bestellt er einen weiteren Kaffee und widmet sich ausführlich der Zeitung.

New Government

Maag is quite certain that henceforth he and Minetti will administer the government. At any hour of the day, without delay and above all without parliament, they—and only they—are in a position to enact laws that take immediate effect and to make appointments. Naturally he is the head of the government. Minetti, as his closest aid, has to ensure everything is done to the head of the government’s satisfaction. There are no department divisions in that he, as president, is responsible for financial and judicial matters, external relations, foreign and domestic national security—the hard currency as it were—while Minetti sees to education, social issues, public health, sports and culture, and immobilizing the minorities, etcetera. As he, Maag, is in charge, responsibility for every decision rests with him, and it isn’t much help that Minetti believes his unrestricted access to power, meaning to him, might change things.
With the same clear-sightedness he resolves to let the world take its present course for the time being. Fully conscious of his power, fortified by the wisdom already gained in his short time as head of the government, and determined to never lose touch with the people, he orders another cup of coffee and devotes himself fully to the newspaper.

Tuesday, June 8, 2010

Rote Ohren - Red Ears

Rote Ohren

Zum ersten Mal fällt ihm die blaurote Färbung von Lellis rechtem Ohr auf. Der Oberst steht, weit abseits seiner Truppen, mit tieftraurigem Blick auf einem kleinen Feldherrenhügel, die Hände in den Taschen des Uniformrocks vergraben. Schneekristalle verfangen sich in den Augenbrauen, im Schnurrbart, den Koteletten und gefrieren augenblicklich.
Gerade will Maag ihm zurufen, er solle sich vorsehen, keine Erfrierungen davonzutragen, als ihm klar wird, dass Lelli über ihn spricht. Und das mit Rita! Was fällt diesem pseudomilitärischen Schmierenkomödianten ein!
Als sei hinter dem Buffet ein Schalter gekippt worden, beginnen die Ohren aller Personen, die über andere sprechen, wie Alarmsignale rot zu blinken; einzig Ritas Ohren, die solchen Schmähungen tagein, tagaus ausgesetzt sind, behalten ihre liebliche Farbe. Heiterkeit, ja, Ausgelassenheit übermannt Maag, denn inzwischen leuchten im Café so viele Lichter, dass er bedauert, zu seiner Vision nicht auch noch den vielstimmigen Ton zu hören.
Während sich seine Gedanken in fröhliche Melodien verwandeln, verdoppelt er diskret das Trinkgeld und summt beim Verlassen des Cafés so laut, dass ihm selbst Ritas strafender Blick nichts mehr anhaben kann.

Red Ears

He’d never noticed the bluish-red coloring of Colonel Lelli’s right ear until now. A desperately sad look in his eyes, hands buried in the pockets of his tunic, the colonel stands atop a small commanding hill at a distance from his troops. Snow crystals catch on his eyebrows, on his mustache and side whiskers, and freeze instantly.
Just as Maag is about to call out his warning against the dangers of catching frostbite he realizes Lelli is talking about him. And with Rita! What was this pseudomilitary ham-acting joker thinking!
Suddenly, as if behind the counter a switch had been hit, the ears of all those talking about others start blinking red like alarm signals (his own ears are, of course, burning); only Rita’s ears, which are exposed to invective of this sort day in and day out, retain their lovely color. Merriment, indeed an exuberance, overcomes Maag, for so many lights were now flashing in the café that he’s sorry not to be hearing the chorus of sounds accompanying his vision.
While his thoughts transform into cheerful melodies he discretely doubles his tip, and as he leaves the café hums so loudly that even Rita’s reproachful look no longer bothers him.

Tuesday, May 11, 2010

Attila

Attila

Wie wohl Lelli wäre, wenn er Attila der Hunne hiesse. Abwägend beobachtet Maag den Oberst, der am gewohnten Platz im Stadtcafé friedlich an seiner Zigarettenspitze nuckelt. Schon wächst aus den graumelierten Koteletten ein krauser Bart, schon krümmen sich Ziegenhörner, wie sie Maag einmal auf einer Attila-Münze gesehen hat, über der Stirn, schon schwingt sich der Oberst als wiederauferstandener Hunnenkönig auf ein Pferd, das aus der Küche gekommen sein muss (die Kellertreppe wäre zu schmal), und galoppiert über die Katalaunischen Felder. Es ist zu spät für Maag, sich in Sicherheit zu bringen: Hier stürmt die wilde Hunnenhorde an, dort das von Aetius geführte römische Heer! Zwar weiss der blutrünstige Attila noch nicht, dass er gleich eine Niederlage erleiden wird, doch würde er es glauben, wenn man es ihm sagte? Ist denn niemand bereit, ihn zu stoppen? Herausfordernd schaut Maag von Tisch zu Tisch.


Attila

How would the name Attila the Hun suit Lelli? Maag considers the colonel, who is sitting in his usual spot in City Café peacefully sucking on his cigarette holder. Before he knows it, a frizzy beard begins sprouting from Lelli’s graying side whiskers, goat horns—like those Maag once saw on a coin depicting Attila—curve out of his brow, and Colonel Lelli, as resurrected king of the Huns, vaults himself onto a horse (which must have come from the kitchen—the cellar steps would be too narrow) and gallops across the Catalaunian Fields. With the wild horde of charging Huns on one side and Aetius’s attacking Roman army on the other, there’s no time for Maag to get out of harm’s way. It’s true the bloodthirsty Attila doesn’t yet know he’s on the brink of defeat, but would he believe it were he to be told? Is no one prepared to stop him? Maag looks challengingly from table to table.

Monday, April 26, 2010

Lolita

Lolita

Wie wohl Rita wäre, wenn sie Lolita hiesse? Nichts Einfacheres für Minetti, als sich Rita, die mit einem Kaffee auf ihn zukommt, statt im strengen Kellnerinnenkostüm im kurzen Röckchen, mit blondem Haar, purpurrot geschminkten Lippen und schwarzer Sonnenbrille vorzustellen. Als sie nur noch wenige Schritte von ihm entfernt ist, beginnt sie zu tänzeln, zieht einen Schmollmund und bedenkt ihn mit einem Blick, den er ihr nie zugetraut hätte. Da ihn die Kleine einschüchtert, aber auch, um zu verhindern, dass sie den Kaffee ausschüttet, stellt er sich geistesgegenwärtig vor, wie wohl Lolita wäre, wenn sie Rita hiesse. Schon nimmt sie den Kaffee vom Tablett und stellt ihn auf dem Weg zu einem Tisch mit Laufkundschaft gewandt vor ihn hin. Dass ihre rosige Zungenspitze zwischen den Zähnen noch immer glitzert wie jene Lolitas, ist ihm nicht entgangen.


Lolita

How would the name Lolita suit Rita? Nothing is easier for Minetti than to picture Rita, who is approaching him with a coffee, not in her austere waitress outfit, but in a short little skirt, with blonde hair, crimson-painted lips, and black sunglasses. Just a few steps away she begins to sashay, pulls a pouty face, and gives him a look he never would have thought her capable. Finding himself rather intimidated, but also so as to prevent her from spilling his coffee, he imagines with great presence of mind how much the name Rita would suit Lolita. Next thing he knows, she’s lifted his coffee from her tray and is sliding it gracefully in front of him, all while en route to a table with non-regular customers. That the rosy tip of her tongue still glistens, Lolita-like, between her teeth has not escaped his notice.

Friday, April 9, 2010

Luzider Augenblick - Lucid Moment

Luzider Augenblick

Mit jener schmerzenden Hellsichtigkeit, die sich sonst nur an extremen Föhntagen einstellt, bisher jedoch noch nie nach einer Portion fettucine con salvia e burro, erkennt Minetti, dass man ihn mit Maag verwechseln könnte, wären sie nicht zwei so grundverschiedene Charaktere. Melancholisch nimmt er an, dass Maag in diesem Augenblick zur selben Ansicht gelangt sein könnte.

Lucid Moment

With that aching clear-sightedness that otherwise occurs only on days when the foehn is extreme, though—up to now—never after a serving of fettuccine con salvia e burro, Minetti realizes he could be confused with Maag if they weren’t two such entirely different types. A bit melancholically he supposes that Maag, perhaps at this very moment, could have arrived at the same opinion.

Friday, March 26, 2010

Grosser Plan - Master Plan


Grosser Plan

Im Dachzimmer rechts oben, vor dessen Fenster Geranien verkümmern, massiert eine alte Frau mühsam atmend ihre Beine mit einem krampflösenden Mittel, im Stockwerk darunter wird das Tuch von einem Vogelbauer gehoben und das Sittichpärchen erwacht. Eine Etage tiefer giesst sich ein Mann, der von der Nachtschicht nach Hause gekommen ist, einen Kaffee ein. In der Wohnung daneben steht Ana Bela Pinto vor dem Spiegel, entfernt mit einer Pinzette einige Haare aus der Achselhöhle und schaut sich hellwach und mit berechtigter Zufriedenheit an. Im zweiten Stockwerk, vielleicht an Ana Bela denkend, drängt sich ein anderer Mann seiner Frau auf, weil er träumte, sie habe sich ihm seit Monaten verweigert. In der Wohnung über dem Flur, mit dem begehrten Blick auf den Zentralpark, wird ebenfalls geträumt: Ein zehnjähriges Mädchen meint, es könne fliegen, breitet die Arme aus und lächelt selig. Im Erdgeschoss stopft eine Frau Arbeitswäsche in die Waschmaschine, während in der angrenzenden Wohnung ein sechzigjähriger Mann im Schlaf murmelt: „Sie hat es wieder getan.“ – „Was?“ fragt seine Frau im Bett neben ihm mit pelziger Stimme, dreht sich auf die andere Seite und schläft weiter.
Welch verlockende Vorstellung, denkt Maag, an einem Steuerpult zu sitzen und nach einem grossen Plan Regie zu führen. Und wenn es nur dazu wäre, wenigstens einmal rechtzeitig zu einer Verabredung zu kommen. Obwohl er hoffnungslos zu spät ist, wirft er hastig seine Jacke über und verlässt das Haus.

Master Plan

In the top right garret, the one with the geraniums withering in the window, an old woman, her breathing labored, massages her legs with an antispasmodic; on the floor below, the cloth cover is lifted from a birdcage and a pair of parakeets awakens. One story down, a man having arrived home from the night shift pours himself a cup of coffee. In the apartment next door, Ana Bela Pinto stands in front of the mirror, removes a few hairs from her armpit with a pair of tweezers, and examines herself, wide-awake and with legitimate satisfaction. On the third floor another man, perhaps thinking of Ana Bela Pinto, forces himself on his wife because he dreamt she had been refusing him for months. In the apartment across the hall, with the coveted view of City Park, more dreams are dreamt: a ten-year-old girl thinks she can fly, stretches out her arms, and smiles blissfully. A woman on the ground floor stuffs work clothes into a washing machine, while in the adjacent apartment a sixty-year-old man mutters in his sleep “she did it again”—“what?” his wife in the bed next to his asks with a furry voice turning over to her other side and falling back asleep.
What an enticing idea, Maag thinks, to sit at a control panel and direct following a master plan. Even if it were only, just once, to arrive at an appointment on time. Although he is hopelessly late, he hastily throws on his jacket and leaves the building.

Thursday, March 11, 2010

Concertino

Concertino

Der grosse, runde Tisch im Klubzimmer des Stadtcafés ist perfekt gedeckt: Fünf Teller, Messer, Gabeln, Löffel, Weissweingläser, bauchige Rotweingläser und – der Anordnung der Gedecke entsprechend – für fünf Leute. Neben dem Löffel an jedem Platz ein Handy. Die Gäste, hochkonzentriert, haben die Handflächen auf den Tisch gelegt. Ist eine nervöse Spannung zu verspüren? Wird es gut gehen?
Und schon beginnt es.
Das erste Handy intoniert eine Amsel, das zweite die ersten Takte der Nationalhymne, das dritte einen pfeifenden Teekessel, das vierte das von der stolzen Wöchnerin eingespeiste Krähen ihres Neugeborenen, eines Knaben (51 cm, 3700 g), das fünfte fügt das Klacken einer mechanischen Schreibmaschine (Hermes Media 3) hinzu, auf der immer dasselbe Wort, nämlich Kikeriki, mit klingelnder Zeilenschaltung nach jeder Silbe, geschrieben wird.
Welch ein Klanggebilde!
„Bravo!“ Maag schaltet im Nebenraum sein Gerät aus. „Bravissimo!“ Begeistert klatscht er in die Hände und begibt sich zu den Gästen. Am meisten beeindruckt hat ihn bei der Premiere seines Concertinos für fünf Handys, op. 1 die Disziplin der Solisten, die noch genau so dasitzen wie in dem Augenblick, als er sie verlassen hat, jetzt jedoch entspannt und einander zulächelnd.

Concertino

The large round table in the club room of City Café is perfectly set: five plates, knives, forks, spoons, white wine glasses, bulbous red wine glasses, and—arranged accordingly—five people. Next to the spoon at each place setting, a cell phone. The guests, all very focused, rest their palms on the table. Is there a nervous excitement in the air? Will it go well?
And so it begins.
The first cell phone intones the sound of a blackbird, the second, the first bars of the national anthem, the third, a whistling tea kettle, the fourth the cooing of the proud mother’s newborn—a boy (20 in., 8 lbs. 2 oz.)—, and the fifth adds the clicking of a mechanical typewriter (Hermes Media 3) on which the same word, namely cock-a-doodle-do, is being typed with a carriage return bell after each syllable.
What an acoustic creation!
“Bravo!” In the adjoining room Maag switches off his phone. “Bravissimo!” He claps his hands enthusiastically and makes his way to his guests. What has impressed him the most at the premiere of his Concertino for Five Cell Phones, op. 1 is the discipline of the soloists, who are still seated exactly as they were the moment he left them, though now relaxed and smiling at one another.

Tuesday, February 23, 2010

Zentralpark, 16.00 Uhr - City Park, 4 p.m.


Zentralpark, 16.00 Uhr

Sobald er sie mit Brotkrumen zu seiner Bank gelockt hat, faltet Maag die Hände vor dem Gesicht. Mit jener Konzentration, die nur mentale Schulung ermöglicht, erreicht er das für sein Vorhaben unerlässliche innere Gleichgewicht. Bald verharren die Tauben vor ihm ruhig im Halbkreis und warten darauf, wie es weitergeht. Was sie jedoch nie erfahren werden, wenn sein Versuch gelingt.
In etwa fünf Minuten wird er den Cocker-Spaniel Aida, der mit der Direktorin des Marriott Courtyard an seiner Bank vorbeikommen wird, in das Halbrund integrieren. Die Plätze links und rechts des Spaniels sind für die beiden Afghanen der Dame aus der Oberstadt reserviert, die wenig später den Park in entgegengesetzter Richtung durchqueren werden. Darauf wird er die braunen wie die struppig grauen Eichhörnchen auf den ausladenden Ast des kanadischen Ahorn über ihm bitten. Den Insekten – Libellen, Hornissen, Wespen, Bienen, Bremen, Mücken – wird er den Luftraum zwischen den Eichhörnchen und dem Bodenensemble zuweisen. Jeder Spatz des Schwarmes, der kurz vor vier vom Mauerweg her einfliegt, soll sich auf sein Kommando eine Taube auswählen und auf deren Kopf niederlassen. Fünfzehn Uhr siebenundfünfzig wird er alle im Park anwesenden Menschen wie einen griechischen Chor, in zwei Blöcken und nach Geschlecht getrennt, hinter den Tieren versammeln. Auf sein gedachtes Zeichen werden alle zu einem Gesang ansetzen, der exakt um sechzehn Uhr in ein grossartiges Finale münden wird. Danach wird jedes Wesen seine vorherige Beschäftigung aufnehmen, ohne sich jemals an diese Unterbrechung zu erinnern.
Einzig Willi, der sich einbildet, über dieses Reich zu herrschen und sich beklagt, „gewöhnliche“ Pärke hätten in dieser eventhungrigen Zeit einen schweren Stand, wird er seinem Willen nicht unterwerfen. Soll er, wenn er sich um diese Zeit wie üblich seinen nachmittäglichen Kaffee gönnt, wenigstens für ein Mal klaren Blickes und Verstandes zu würdigen wissen, was sein Park zu bieten hat.

City Park, 4 p.m.

Having lured the pigeons with breadcrumbs to his bench, Maag clasps his hands in front of his face. With that concentration that comes only with mental training, he achieves the equilibrium essential for his plan. Soon the pigeons are quietly positioned in a semicircle before him, waiting to see what will happen—something they’ll never discover, however, should his experiment be successful.
In approximately five minutes he’ll integrate the cocker spaniel, Aida, who’ll pass by his bench with the manageress of the Marriot Courtyard, into the half circle. The places to the left and right of the spaniel are reserved for the two Afghans who belong to the lady from uptown and who’ll be crossing the park a little later in the opposite direction. After that he’ll invite the squirrels, the brown as well as the shaggy gray ones, on to the branch of the Canadian maple outstretched above him. The insects—dragonflies, hornets, wasps, bees, horseflies, gnats—will then be assigned to the airspace between the squirrels and the ensemble on the ground. Each one of the sparrows from the flock that flies in from the Mews shortly before four is to select, at his command, a pigeon and alight on its head. At 3:57 p.m. he’ll gather together all the people present in the park behind the animals like a Greek chorus, in two sections and separated by sex. At his imaginary signal all will ease into song that will culminate in a splendid finale exactly at 4 o’clock. Afterwards each creature will resume its prior activity without ever remembering this interruption.
Only Willi—who has it in his head that he rules over this realm and complains that “regular” parks don’t have an easy go of it in these event-hungry times—will Maag not succeed in subjecting to his will. Should Willi be indulging in his afternoon coffee, as he is wont to do around this time, he ought to at least, for once, deign to see clearly, and with full possession of his faculties, what his park has to offer.

Wednesday, February 17, 2010

Sünde - Sin

Sünde

„Wer schläft, sündigt nicht!“, ruft Ana Bela zum Abschied.
„Das habe ich mir anders vorgestellt“, sagt Maag enttäuscht.

Sin

“He who sleeps does not sin!” Ana Bela shouts on her way out.
“I imagined that differently,” Maag says, disappointed.

Tuesday, February 16, 2010

Geschenkter Tag - Free Day

Geschenkter Tag

Maag nimmt sich an diesem milden Novembermorgen vor, Minetti zu spielen. Neugierig verlässt er das Haus, gerät jedoch beim Überschreiten der Schwelle ins Taumeln und kommt zu seiner Enttäuschung auf dem Gehsteig noch immer als Maag an. Aus reinen Vernunftgründen und um nicht das Schicksal zu bemühen, gibt er sein Vorhaben auf, insgeheim erfreut, einen geschenkten Tag vor sich zu haben.

Free Day

It is a mild November morning and Maag intends to play Minetti. Full of curiosity, he leaves the building, though as he crosses the threshold he starts reeling and arrives on the sidewalk, to his disappointment, still as Maag. For reasons of pure common sense and not to tempt fate, he abandons his plan, secretly delighted to have a free day ahead of him.

Saturday, February 13, 2010

Wolken - Clouds

Wolken

Minetti beobachtet auf seinem Spaziergang die wandernden Wolken. Hin und wieder bleibt er stehen. Neugierig zeichnet er mit der Spitze seines Stocks Konturen nach, Wolkenvögel jeglicher Art und Gattung, kleine Wolkenfanten, fliegende Wolkodile, ja sogar ein Rudel davonjagender Wolkilopen, gehetzt von einer Wolkenöwin, und, ganz rechts aussen über einem Hochhaus und wie angebunden an die Dachwerbeschrift PANASONIC, ein von der Herde verstossenes, trauriges Wolkhorn. Er ist sich bewusst, mit seinem Gefuchtel für Beobachter aus einiger Distanz ein seltsames Schauspiel abzugeben. Was aber – weiss mans denn? –, wenn dieses Wolkengetier ebenfalls Beobachtungen anstellte? In diesem Fall einen verwirrten Mann sähe, der, seinerseits von seiner Herde ausgesondert, vergeblich versuchte, ein unsichtbares Stück Luft einzufangen?
Ertappt zieht er den Stecken zurück, schaut noch einmal, wie sich ein erst spärlich konturiertes Wolkentier anschickt, sich in etwas anderes zu verwandeln und stockt. Kann es sein, dass Maag in der Lage sein sollte, Wolken zu manipulieren? Denn was sich jetzt vor ihm am immer wolkenloseren Himmel abzeichnet, ergibt die Initiale M in perfekter englischer Schreibschrift.
„M für Maag“, murmelt Minetti, „oder steht M für Minetti?“ Vorsichtig schaut er die Strasse hinauf und hinunter, doch sie ist leer.

Clouds

Minetti observes the drifting clouds during his stroll. Every now and then he pauses. Curious, he traces with the tip of his walking stick the contours of cloudbirds of every genus and species, small cloudephants, flying cloudodiles, even a group of cloudelopes galloping off at great speed hunted by a cloudolion; and, way over to the right, above a high-rise and as if tethered to the PANASONIC roof advertisement, a cloudoceros, expelled from the herd and sad. He is aware that all his gesticulating is providing onlookers at some distance with a strange spectacle. What, however—do we know?—if these cloud creatures were likewise making observations? In this case, they would see a confused man, who, cast out in turn by his own herd, was trying in vain to catch hold of an invisible piece of air?
Caught, he withdraws his stick, watches once more as the sketchy contours of a cloud animal are on the verge of turning into something else, and stops short. Can it be that Maag could be in a position to manipulate clouds? For what was now emerging before him in the ever more cloudless sky amounted to the initial M in perfect English cursive.
“M for Maag,” mutters Minetti “Or does M stand for Minetti?” Warily he looks up and down the street, but it is empty.

Friday, February 12, 2010

Harte Probe - Sorely Tried

Harte Probe

Schon lange erwiese Minetti Maag gern einen Freundschaftsdienst, doch ist ihm bisher nichts eingefallen, was diesen Anspruch verdienen würde. Welche Freundschaft würde dadurch nicht auf eine harte Probe gestellt! Eilt Minetti in den Zentralpark, um die Tauben zu füttern, so fürchtet er, obwohl es bisher noch nie geschah, dieser sitze womöglich bereits auf seiner Bank. Stellt er sich vor, Maags Schreibtisch aufzuräumen, was wahrscheinlich bitter nötig wäre, so lässt er den Gedanken, kaum gedacht, gleich wieder fallen; wie könnte er die Schmach ertragen, dieser wäre bereits mit derselben Sorgfalt geordnet, wie er, Minetti, es für sich selbst getan hätte. Einmal muss ihm Maag sogar zuvorgekommen sein, als er vor den in Reih und Glied stehenden Büchern Hab acht! rufen wollte, obwohl die Bücher so undiszipliniert im Regal standen, dass sie diesem Befehl wahrscheinlich nicht ein einziges Mal Folge geleistet hätten. Kann denn von einem Freund die Rede sein, wenn ihm dieser nicht die kleinste Gelegenheit für einen Freundschaftsdienst lässt?

Sorely Tried

For a long time now Minetti has been wanting to do Maag a good turn, but so far he hasn’t been able to think of anything that would be worthy of this aspiration. What friendship wouldn’t be sorely tried by this? If Minetti rushes off to City Park to feed the pigeons, he fears—although so far it has never happened—that Maag may already be there, sitting on his bench. If he has in mind straightening up Maag’s desk, something that would likely be desperately needed, no sooner does he have the idea than he drops it; how could he bear the humiliation of the desk having already been organized with the same care as he, Minetti, would have done for himself? Once Maag even had to anticipate him when he had wanted to shout Attention! in front of some books lined up in rank and file, although the books stood on the shelves with such a lack of discipline that they would be unlikely to ever comply with the order. Can one then speak of Maag as a friend if he doesn’t even afford Minetti the smallest opportunity to do him a good turn?

Maag, Schnelldenker - Maag, Quick Thinker

Maag, Schnelldenker

Als Minetti hört, Maag weise sich seit kurzem und ohne verbindlichere Angaben auf seiner Visitenkarte als Maag, Schnelldenker aus, lässt er eine eigene drucken, auf der lediglich Minetti steht. Sollte Maag sie je zu Gesicht bekommen, wird er beweisen können, wie schnell er zu denken vermag.

Maag, Quick Thinker

When Minetti hears that Maag has recently been identifying himself on his business card as Maag, Quick Thinker, without providing more precise details, he has his own card printed, which simply reads Minetti. Should Maag ever happen to see it he’ll be able to prove how quickly he is capable of thinking.

Thursday, February 11, 2010

Bis auf Weiteres - For the Time Being

Bis auf Weiteres

Wer ist dieser Minetti, von dem er nicht einmal den Vornamen weiss? Je mehr er über ihn nachdenkt, umso weniger weiss er über ihn.
Bei Ana Bela im Kaufhaus ist es einfach. Ihre Wurzeln führen in eine kinderreiche Familie im äussersten Südwesten der iberischen Halbinsel. Zahlen sind ihr so vertraut wie Maag ihre langen, seidenschimmernden Augenwimpern. Mit atemberaubender Fertigkeit gleiten ihre Finger über die Tastatur: Sie ist die perfekte Kassiererin. Auch bei Lelli stellt sich die Frage nicht, denn ob er nun Kavallerie-, Gendarmerie- oder Feuerwehroberst gewesen ist, er trägt seinen Rang mit einer Würde, die niemand bestreitet. Philippine ist schlicht das kleine Mädchen vom Haus nebenan, etwas Selbstverständliches also. Grabovski, Departementssekretär, ist durch die Angehörigkeit zur Regierungspartei solid auf seinem Beamtenstuhl verankert. Selinda Kantor leitet die Poststelle und den Damenturnverein des Viertels mit fester Hand und begibt sich im Hair-Studio Cosima einmal wöchentlich für ein Brush-up unter die Haube, was sie in ihrem Privatleben zu ihrem offensichtlichen Bedauern noch nicht geschafft hat. Von Emina, geschweige denn von Rita, nicht zu reden.
Anders bei Minetti: Sogar Versuche, ihn sich als verlässlichen Freund wie als erbitterten Feind vorzustellen, schlagen fehl, da beides intime Kenntnis voraussetzen würde. Positionierungen, die ihm bei einem Zentralparkchef Willi oder einem Steuerberater Hermeling keine Mühe bereiten. Dabei wäre er bereit, vorbehaltlos oder zumindest gutwillig anzunehmen, was Minetti von sich preisgäbe. Falls er etwas preisgäbe. Doch sieht es nicht so aus, als ob sich – bis auf Weiteres – etwas daran ändern würde.

For the Time Being

Who is this Minetti anyway and what’s his first name? The more he thinks about him, the less he knows.
With Ana Bela in the department store it’s easy. Her roots can be traced to a large family in the extreme southwest of the Iberian Peninsula. She is as familiar with numbers as Maag is with the silky luster of her long eyelashes. With breathtaking dexterity her fingers glide over the keyboard: she is the perfect cashier. And it’s not an issue with Lelli either, for whether a colonel in the cavalry, the gendarmerie, or the fire brigade, he carries his rank with a dignity that nobody denies. Philippine is just the little girl from the building next door, so she goes without saying. Department Secretary Grabovski is, through his membership in the governing party, solidly anchored in his official position. Selinda Kantor runs—with a firm hand—the local post office and the women’s gymnastic club in the district, and once a week takes herself to the Cosima hair studio for a sprucing up, something her love life could use as well, to her apparent regret. And, of course, there’s no need to mention Emina, let alone Rita.
But it is different with Minetti. In fact attempts to see him as dependable friend as well as bitter enemy come to nothing, as both would demand intimate knowledge. Such position-taking causes him no trouble with, say, Willi, a City Park manager, or even Hermeling, a tax consultant. And he would be prepared to accept unconditionally, or at least readily enough, what Minetti might divulge of himself. If he were to divulge something. Though it doesn’t look as if anything will change in this regard, at least for the time being.

Sunday, February 7, 2010

Fadenzähler - Thread Counter

Fadenzähler

Tut dieser Maag eigentlich nichts anderes, als die Gehsteige und die Kaffeehäuser der Innenstadt zu frequentieren, den Ana Belas, Laetitias und Eminas nachzustellen und in den Pärken der Stadt herumzulungern? Hat er nichts Gescheiteres im Kopf, als die Willis und Ritas von der Arbeit abzuhalten? Hat er ein üppiges Erbe angetreten und muss nicht wie andere Leute einer redlichen Beschäftigung nachgehen? Ein geistiges Erbe kann es jedenfalls nicht gewesen sein: Bleibt er von Zeit zu Zeit stehen, dann doch nur, um vergessene Einkäufe oder einen längst fälligen Anruf zu notieren, bestimmt aber kein neues philosophisches Axiom oder wenigstens einen Aphorismus! Und tut trotzdem so, als hätte er die Weisheit mit Löffeln gefressen! Ein widerwärtiger Fadenzähler ist dieser Maag! Ein Kleindenker, ein –
„Quadrätchenkacker!“, brüllt Minetti und beschleunigt den Schritt, damit ihm keiner seine Bank im Zentralpark wegschnappt.

Thread Counter

Does this Maag actually do nothing other than frequent the downtown sidewalks and cafes, pester the Ana Belas, Laetitias, and Eminas, and loaf about in the parks of the city? Can he think of nothing better to do than keep the Willis and Ritas from their work? Has he come into a lavish inheritance and thus needn’t pursue an honest profession like other people? In any case, it can’t have been an intellectual inheritance—if from time to time he stops for a moment it’s only to make a note of items he forgot to buy or a long overdue call, but certainly not to jot down a new philosophical axiom or, at the very least, an aphorism! And, nevertheless, he acts as if he knew all the answers! A detestable thread counter, that’s what this Maag is! A small thinker, a –
“Penny pooper!” Minetti shouts suddenly, quickening his pace so no one will steal his bench in City Park.

Saturday, February 6, 2010

Denkt Maag - Thinks Maag

Denkt Maag

Minetti würde sagen, das Problem sei einzig die Optimie-rung von Nähe und Distanz, denkt Maag.

Thinks Maag

Minetti would say the problem was solely the optimizing of proximity and distance, thinks Maag.

Träumt Minetti - Dreams Minetti

Träumt Minetti

Eines Morgens wacht Maag mit der Idee auf, eine Such-maschine zu entwickeln, mit der man findet, was es noch nicht gibt, träumt Minetti.

Dreams Minetti

One morning Maag wakes up with the idea to develop a search engine with which one finds what does not yet exist, dreams Minetti.