Wednesday, August 25, 2010

Aura

Aura

Der Umstand, für den Serienmörder „Harry der Schlächter“ gehalten zu werden, versetzt Maag in einen gespaltenen Zustand.
Auf der positiven Seite schlägt zu Buch, dass ihm der scheussliche Ruf als „Harry der Schlächter“ nicht zu unterschätzende Vorteile gebracht hat. Hauswart Ritz, auf dessen Schikanierliste er bisher ganz oben stand, behandelt ihn auf einmal ausnehmend höflich. Er trägt ihm, dem jüngeren, wenn er nach Hause kommt, sogar die Taschen zum Aufzug. Im Stadtcafé lässt ihn Lelli endlich mit seinen blutigen Geschichten aus dem Krieg, den er lediglich aus den Büchern von Erich Maria Remarque kennt, in Ruhe. Auch auf dem Zentralpark lastet der Ruf des Monsters, dem allein dort schon zwei Spaziergängerinnen und ein eben angestellter junger Gärtnergehilfe zum Opfer gefallen sind: Willi - mit Trauerflor am Überkleid - gibt ihm auffallend häufig recht, was ihren Gesprächen jedoch jede Würze nimmt.
Schliesslich hat sein Verhältnis zu Rita eine erotische Erweiterung erfahren. Jedes Mal, wenn sie an seinem Tisch vorbeikommt, berührt sie ihn unauffällig. Geht hier endlich ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung? Ähnliches stellt er bei Ana Bela an der Kaufhauskasse fest. Und Emina ist ihm dieser Tage sogar über den halben Zentralplatz nachgeeilt, nur um ihm, nachdem sie sich ausser Atem kurz an seiner Brust ausgeruht hatte, errötend einen Gruss von Hermeling auszurichten. Ausgerechnet von Hermeling, diesem geistigen Kontorsionisten!
Alles Vorfälle, die ihm schmeicheln und ihn gleichzeitig misstrauisch machen. Weshalb braucht es dazu die Aura eines Serienmörders? Weshalb reicht sein Ruf als „Maag der Makellose“, an dem er unablässig arbeitet, nicht aus, gebührend beachtet zu werden?
Am Tag, als „Harry der Schlächter“ endlich gefasst wird, ohne dass ein weiteres Opfer zu beklagen gewesen wäre, atmet die gesamte Region auf. Zu Maags Erleichterung – oder Enttäuschung? – stellt sich heraus, dass sie sich nur in der Mundpartie geringfügig gleichen. Seither findet er sich immer wieder vor dem Spiegel und befragt sich stumm, ob es ihm jemals wieder gelingen wird, mit allen Mängeln und Qualitäten nur Maag zu sein, ohne die mit der vermeintlichen Ähnlichkeit verbundenen Vorteile einzubüssen.

Aura

Maag is of two minds about being taken for the serial killer Harry the Butcher.
On the positive side such horrible notoriety brings him advantages that are not to be underestimated. Ritz, the superintendent, whose list of annoying people Maag had thus far topped, treats him all of a sudden with extreme politeness, even carrying his bags to the elevator when he arrives home (though Maag is the younger of the two). In City Café, Lelli, with his bloody stories from the war—which he only knows from Erich Maria Remarque’s books anyway—finally leaves Maag in peace. And in City Park, where no less than two people out for a stroll and a newly hired young gardener’s assistant have fallen victim, the reputation of the monster also weighs heavily: Willi—wearing a black ribbon on his overalls—is conceding points to Maag with remarkable frequency, something that, however, takes all the spice from their conversations.
Finally, Maag’s relationship to Rita has undergone an expansion into the erotic. Each time she passes his table she touches him discreetly. Is this the ultimate fulfillment of a long-cherished wish? He notices a similar thing with Ana Bela at the department store checkout. And, recently, Emina hurried after him, crossing no less than half of Central Square, only to relay—out of breath and after resting briefly on his shoulder—Hermeling’s regards, a blush rising to her cheeks. Regards from Hermeling of all people, that mental contortionist!
These are all incidents that flatter him yet, simultaneously, make him suspicious. Why is the aura of a serial killer needed? Why isn’t his reputation as Maag the Untarnished, on which he has worked unceasingly, sufficient to receive the consideration he feels is his due?
On the day Harry the Butcher is finally apprehended, without another victim having to be mourned, the entire region is able to breathe easier. To Maag’s relief—or disappointment?—it turns out that the only resemblance, and it’s a slight one, is around the mouth. Since then he has repeatedly found himself in front of the mirror silently questioning whether he will ever succeed in just being Maag again, with all his shortcomings and qualities, without losing the benefits derived from his alleged likeness to the killer.


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